Sprechen Sie… Klotzisch??

Christine Eulriet • 23. November 2024

Wenn Texte so sperrig wirken, dass Lesen zur Qual wird

Es gibt kaum einen Artikel, Talk oder ein Webinar rund um die Übersetzung, in dem nicht die KI-Technologie als der Schlüssel zu globalen Märkten dargestellt wird. Die Speerspitze sei Lokalisierung sowie personalisierte Kundenansprache. Ausserdem sei die Skalierung im Bereich Marketing ohnehin nur mit KI realisierbar. So viel zur Vision.

Kürzlich erst bin ich wieder einmal auf ein Beispiel gestossen, bei dem ein Unternehmen Kontakt zu potenziellen Kunden eben global gesucht hat. Wie? Indem der Webauftritt aus dem Englischen mittels KI-Übersetzung in acht weiteren Sprachen bereitgestellt wurde.


1. Thinking big mit KI-Technologie: Schnell & viel

Was sollte aus wirtschaftlicher Sicht dagegensprechen, dank KI-Übersetzung möglichst viele Kunden in ausgesuchten Sprachregionen zu erreichen? Eigentlich nichts, oder? Schliesslich muss im globalen Rennen die notwendige Zeit zwischen Idee und Marktpräsenz möglichst kurz bleiben.


Für ein Unternehmen mag der Rückgriff auf KI zwar richtig erscheinen, denn sie verspricht nicht nur Übersetzung im Eiltempo, sondern dies auch zu einem Bruchteil der üblichen Kosten mit menschlichen Dienstleistern. Verständlich also, dass Organisationen zu den “early adopters” zählen und ihre Kundenbasis auf diese Weise ausbauen möchten.


Effizienzsteigerung wird sehr konkret: Es gibt wahrscheinlich keine schnellere Möglichkeit, den eigenen Funnel mit Leads zu füllen, als mit einer Content-Ausspielung an potenzielle Kunden in deren Muttersprache, «powered by» KI-Übersetzungen. Ziel erreicht, also?


2. Neue Gleichung: Übersetzt = Kunden erreicht = Erfolg?

Mit Hilfe von KI kann das Ziel «Übertragung in Fremdsprachen» zweifellos erreicht werden. Was ist allerdings mit dem Ziel «Kundenansprache»? In unserem Beispiel ist – wenig überraschend – die Übersetzung mit KI-Technologie nicht gut gelungen. Was im Englischen als kurzer Slogan im üblichen Tech-Jargon daherkommt, wirkt im Deutschen konstruiert und ist im Französischen glatt unverständlich.


Ob damit der Anspruch der persönlichen bzw. personalisierten Ansprache auch erfüllt ist, mag angezweifelt werden: Zwar sind die Inhalte in meiner Muttersprache vorhanden, die Botschaft kann allerdings gar nicht zu mir durchdringen. Vielmehr bin ich gezwungen, zu erraten, was das durcheinandergeratene Puzzle bedeutet.


Die Gelegenheiten im Netz, auf vergleichbare Ergebnisse von KI-Übersetzungen zu stossen, sind zahlreich. Hier möchte ich sagen: so viel zur Wirklichkeit.



3. Das Image kann Kratzer bekommen…

Wenn wir schon von Zielen sprechen, frage ich mich, ob das Unternehmen nicht vielmehr sein Ziel verfehlt, der Kundschaft das Image eines kompetenten problemlösenden Dienstleisters zu vermitteln. Bleibt es dem Adressaten womöglich mit den Attributen “unverständlich” oder “kompliziert” in Erinnerung?


Ich bin fast geneigt zu denken, dass durch den Einsatz eines nicht beherrschten Prozesses für KI-Übersetzung ein Unternehmen seinem Image sogar Schaden zufügt. Obwohl besagtes Image zeitintensiv aufgebaut und sorgfältig gepflegt wurde. Kommt KI also vielleicht anderen Strategien in die Quere und unterminiert sie obendrein?


Und angenommen, die bescheidene bis miserable Webpräsenz hätte noch keinen Interessent abgeschreckt: Was nützt die erweiterte Kundenbasis denjenigen Unternehmen, die weder in personeller noch in sprachlich-kultureller Hinsicht über die Kapazitäten verfügen, um eine internationale Kundschaft zu bedienen? Soll auch da KI helfen?


FAZIT

In meinem kühnen Traum bleiben weiterhin die Kunden Dreh- und Angelpunkt des unternehmerischen Tuns. Um diese ernsthaft zu bedienen, kann man sich nicht bloss auf KI-Übersetzungen verlassen. Natürlich kann und soll diese Technologie dort eingesetzt werden, wo sie sinnvoll ist: repetitive Aufgaben und datenbasierte Prozesse zum Beispiel.


Meinetwegen unter bestimmten und klar definierten Bedingungen auch ohne weiteren Eingriff durch professionelle Übersetzer:innen. Die jeweiligen Akteure aber einfach durch KI zu ersetzen, könnte einen Preis haben, den sich viele der Tech-Fans heute noch nicht ausmalen können oder wollen.


Auf viele der Fragen, die ich mir hier stelle, habe ich keine Antwort. Bei einigen davon bin ich nicht einmal sicher, dass meine jetzige Meinung in den nächsten Monaten unverändert bleiben wird. Eins weiss ich dennoch: Nicht alles, was glänzt, ist Gold. Deshalb ist Fingerspitzengefühl beim Einsatz von KI gefragt. Mein Plädoyer ist also einfach: Nutzen Sie KI, auch für kreative Aufgaben. Aber bitte, mit Raison.


Setzen Sie Ihre Prozesse richtig auf!

Über die Autorin

Bonjour! Ich bin’s, Christine Eulriet, begeisterte Französischübersetzerin. Mein Blog ist das Ticket für hinter die Kulissen meines Berufs: Wir schauen zusammen, worauf es ankommt, wenn Übersetzungen von mittelmässig zu wow werden sollen. Schlechte Übersetzungen? Nichts womit man leben muss: Hier erfahren Sie, wie Sie Ihren mehrsprachigen Auftritt beherrschen.


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