Agentur vs Freelancer (3/3): Welche Vor- und Nachteile beim Freelance-Modell?

Christine Eulriet • 10. Juni 2022

Ein ehrlicher Leitfaden für eine informierte Wahl

Arbeitsplatz mit drei Bildschirmen

Im ersten und zweiten Teil dieser kleinen Reihe ging es jeweils um die Herausforderungen, die Auftraggeber bei der Suche nach Übersetzungsdienstleistern zu meistern haben und um die Vor- und Nachteile einer Zusammenarbeit mit Übersetzungsagenturen. Damit der Rundumblick komplett ist, wird dieser Blog-Artikel sich mit Pro und Contra einer Kooperation mit freiberuflichen Übersetzer:innen befassen. Mit diesem dritten Teil sollten Sie nun einiges an der Hand haben, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können.


Die Grundlage dieses Artikels bilden Erfahrungen, die ich in über 20 Jahren Berufspraxis sammeln konnte: Meine Rollen in der Übersetzungsindustrie reichen von freiberuflicher sowie In-House-Übersetzerin über Freelancerin für Agenturen sowie Agentur-Kundin bis hin zur Team-Leiterin des Sprachendiensts eines Internet-Unternehmens.

Weil diese Erfahrungen auf zahlreichen Situationen und Konstellationen beruhen, lassen sich Grundzüge und wiederkehrende Schemata erkennen, die ich hier aufzeige. Weitere Informationen zur Beauftragung von Übersetzungen können Sie in diesem Leitfaden nachlesen.


1. Freelancer: wann die Zusammenarbeit sinnvoll ist

Sie sind in einer der folgenden Situationen:

  • Übersetzungen kommen bei Ihnen regelmässig vor und lassen sich eher gut planen
  • Sie haben im Schnitt kleine bis mittlere Volumen (bis ca. 500 Seiten im Jahr)
  • Sie übersetzen in maximal 3 bis 4 Zielsprachen*
  • Ihr Fachgebiet ist klar abgegrenzt
  • Ihre Übersetzungsarbeiten erfordern hochwertige Texte
  • Sie haben interne Ressourcen, die zumindest in Teilen den Prozess begleiten können



2. Vorteile: Beratung, Qualität und Expertise

In diesen Fällen ist es wahrscheinlich, dass nicht der Maintstream-Ansatz, sondern die individuelle Übersetzungslösung Ihre Bedürfnisse besser abdeckt.


Wenn Sie sich auf diesem Tummelplatz nicht auskennen, sind Sie wahrscheinlich für jede Beratung dankbar, die Sie erhalten können. Oder wussten Sie nicht einmal, dass es so etwas gibt in der Branche? (Wenn Sie glauben, dass ich übertreibe, lesen Sie über die Erfahrungen dieses Start-Ups!)


Mit freiberuflichen Übersetzer:innen haben Sie einen Ansprechpartner, der Ihre Anforderungen ebenso gut kennt wie Ihre Bedürfnisse und Ihre Branche. Deshalb können sie Ihnen mit kompetenter und passgenauer Beratung zur Seite stehen. Schliesslich sind Sie ja nicht ein Kunde unter Tausenden.


Weil der Empfänger der Information gleichzeitig die Person ist, die die Übersetzungen durchführt, ergibt sich der nächste Pluspunkt, und kein geringer, nämlich Kontinuität und Durchgängigkeit. Davon lebt ihr Auftritt: Gelungenes Content-Marketing fördert die Wiedererkennung bei Ihren Leser:innen und User:innen.


Mit der Zeit bauen freiberufliche Übersetzer:innen Kenntnis und Kompetenz über die Produkte, Dienstleistungen und Abläufe ihrer Auftraggeber auf und können gezielt mit Fachwissen und Expertise punkten. Sie avancieren so zu einer Art «Mitarbeiter:in light».


Und last but not least: Freelancer müssen keine Marketing- und SEO-Teams unterhalten, keine Werbung schalten und keine kostspieligen ISO-Zertifizierungsprozesse finanzieren. Was der Kunde zahlt, ist reine Übersetzungsleistung, sein Geld fliesst nicht in einen Overhead.

Vorteile von Agenturen hier vergleichen


3. Nachteile: Engpässe aller Art

Die Arbeit mit freiberuflichen Übersetzer:innen wird mehr von Ihnen abverlangen als mit Agenturen. Hin und wieder haben die selbstständigen Sprachdienstleister keine Kapazitäten für einen bestimmten Termin; oft übernehmen sie keine Aufgaben im Bereich Auftragskoordination bzw. Projekt-Management; und sie können nicht unbegrenzt mitgehen, wenn bei ihren Auftraggebern Skalierung ansteht.


Darüber hinaus verfügen Freelancer nicht über die gleichen technischen Möglichkeiten, die grössere Player haben: Angefangen bei der Fülle an CAT-Tools – meistens arbeiten Selbstständige mit einem oder zwei, maximal drei Profi-Programmen –, über die DTP-Ausstattung bis hin zu den Dateiaustausch- und Kundenplattformen. Und unterstützende Leistungen im Bereich Terminologie oder Sprachguides, Transkription oder Voice Over können oder wollen nicht alle anbieten.


Zu guter Letzt ist die Beziehung mit freiberuflichen Übersetzer:innen enger als mit einer anonymen Struktur. Wie in allen zwischenmenschlichen Beziehungen treffen also Charaktere aufeinander, die vielleicht nicht harmonieren. Das Gute ist: Man merkt es ziemlich bald. Aber das heisst auch, dass man sich auf die Suche nach einem anderen Dienstleister machen darf, wenn es nicht passt.

Nachteile von Agenturen hier vergleichen


4. Gibt es Alternativen?

Für weitere Informationen über eine Zusammenarbeit mit Übersetzungsagenturen, klicken Sie hier, um direkt zum Teil 2 zu gelangen. Für den allgemeinen Überblick, gehen Sie zu Teil 1.



FAZIT

Diese Form der Zusammenarbeit ist vielleicht nicht die bequemste aber die lohnendere. Warum?


Weil selbstständige Übersetzer:innen weniger Kunden bedienen, dafür ein tiefgreifendes Verständnis der jeweiligen Leistungen und Angebote entwickeln. Weil sie mitdenken, und dadurch dem Kunden einen absoluten Mehrwert mit qualifizierten Rückmeldungen und Vorschlägen bringen. Weil sie in direktem Kontakt zu Ihnen als Kunden stehen und passgenau auf Änderungen reagieren können.


Darüber hinaus übersetzen sie nicht anonyme Texte kontextfrei, sondern stehen Ihnen mit ihrem Namen als Garantie für Qualität und Konsistenz Ihres Auftritts gegenüber.


Mit jeder Rückmeldung des Auftraggebers bauen ausserdem freiberufliche Übersetzer:innen kurzfristig eine Kompetenz auf, die Ihnen langfristig zugute kommt: Prozesse müssen nicht mehr erläutert werden und der routinierte Austausch schafft sogar Raum für Impulse.




* Die Grenze von 3 oder mehr Sprachen ist ein Erfahrungswert. Über diese Grenzen hinaus wird der Koordinationsaufwand sehr hoch: Ab ca. 25 Aufträge/Woche Übersetzungsaufkommen bzw. Kapazitätsüberlastung wird im Schnitt ein Freelancer-Pool von mind. 4 bis 5 Personen benötigt, um bei Nichtverfügbarkeit trotzdem Zugriff auf eine eingearbeitete Person zu haben. Nur sinnvoll, wenn für die Betreuung entsprechende Ressourcen intern vorhanden sind.


Haben Sie noch Fragen?

Über die Autorin

Bonjour! Ich bin’s, Christine Eulriet, begeisterte Französischübersetzerin. Mein Blog ist das Ticket für hinter die Kulissen meines Berufs: Wir schauen zusammen, worauf es ankommt, wenn Übersetzungen von mittelmässig zu wow werden sollen. Schlechte Übersetzungen? Nichts womit man leben muss: Hier erfahren Sie, wie Sie Ihren mehrsprachigen Auftritt beherrschen.


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