Von Püree zu Pommes: Wie man Übersetzungen richtig zubereitet

Christine Eulriet • 23. November 2023

Auch gute Übersetzungen sind golden und strahlend!

Nahaufnahme von Pommes

Der Witz geht so: Mutter serviert Püree, Kind weint bitterlich: «So schlimm, buhuhu… es hätten ja Pommes werden können». Ähnlich fühle ich bei den Übersetzungen mancher Webauftritte und denke: «Schade, es hätte auch eine gute Übersetzung werden können.» Als Nächstes tun mir diese Unternehmen leid: so viel Arbeit ist in den Auftritt hineingeflossen, und trotzdem ist es auf Französisch nur Püree. Wie Sie aus Ihren Übersetzungen richtig gute Pommes machen können, lesen Sie hier.

Wenn ich übersetze, muss ich viel recherchieren. Je nach Gebiet, ist das, was ich sehe, mehr oder weniger erfreulich. Neulich musste ich Kurztexte über ein gutes Dutzend verschiedener Forschungsfelder übersetzen und mich dementsprechend durch viele wissenschaftliche Publikationen, Abstracts und sonstige Webseiten durcharbeiten. Dabei bin ich auf die Auftritte einiger Organisationen gestossen, die fremdsprachlich nicht über alle Zweifel erhaben waren. Und das leider ohne vorherige Trigger-Warnung.

 

1. Wie für ein Rezept: Die einzelnen Schritte befolgen

Wieder einmal habe ich feststellen müssen, dass bei diesen Auftritten die Mehr­sprachig­keits­rezepte nicht gelungen waren. Viele Auftrag­geber wissen es offensichtlich nicht besser und präsentieren sich folglich mit schlechten Über­setzungen. Woran liegt das? Na ja, damit am Ende des langen Prozesses Leser:innen einen «runden» Text unter die Augen bekommen, braucht es viele kleine Schritte, die alle für sich zu einem erfolgreichen mehr­sprachigen Auftritt beitragen. Ich glaube, dieser Zusammenhang wird oft übersehen.


Zunächst sollte der Auftraggeber sorgfältig den für ihn passenden Dienstleister auswählen. Hier habe ich eine kleine Illustration. Danach geht es darum, die Inhalte unbeschadet von A nach B und zurück wandern zu lassen: Redaktionssystem > Übersetzungssystem > CMS (oder Druckdatei). Parallel müssen Schritte wie Ausgangslektorat und In-Context-Review sichergestellt, aber auch technische Gesichtspunkte berücksichtigt werden: Unterstützt mein CMS die Mehrsprachigkeit und wird diese von den Entwicklern berücksichtigt?


Die konkreten Beispiele, die ich eingangs erwähnt habe, waren Treiber für die Entstehung dieses Artikels: Sie alle hatten gemeinsam, dass das Haupt­augenmerk auf der Über­tragung des Inhalts von einer Sprache in die andere lag. Das ist natürlich die Basis, aber lange nicht das Ende einer erfolgreichen Mehr­sprachig­keits­strategie.


Für alle, die in Erwägung ziehen, neue Kunden­gruppen durch Übersetzungen zu erreichen oder ihre Prozesse unter die Lupe zu nehmen, bieten die Punkte weiter unten eine hilfreiche Orientierung für guten mehr­sprachigen Content. Eins vorweg: Wer sich in diese Richtung bewegen will, muss wissen, dass qualitative Übersetzungen nicht über Nacht kommen – sie sind das Ergebnis einer langfristigen Strategie und von systematischer Arbeit.



2. Welches Ziel soll mit Übersetzung erreicht werden?

Die Antwort auf diese Frage wird Einfluss auf die Gesamtausrichtung der Über­setzungs­arbeit haben.

Deshalb müssen Sie sich darüber im Klaren sein, wozu der Französisch­auftritt dienen soll:

 

  • einen neuen Markt zu betreten und neue Kundengruppen zu gewinnen, oder
  • die Kompetenz und Autorität des Unternehmens zu stärken, oder
  • Produkte und Dienstleistungen markanter zu positionieren, oder
  • Low level Information bereitzustellen, etwa user generated content oder interne Anweisungen für ein Team in einer anderen Sprachregion bzw.
  • Informationen schnell bereitstellen, z. B. bei Krisenkommunikation
  • usw.

 

Diese Fragen beantwortet man am liebsten für die allgemeine Strategie sowie allenfalls für bestimmte Themenbereiche.


Jedes Ziel entspricht unterschiedlichen Ansprüchen: Während man bei den ersten zwei Punkten nach einem auf Marketing bzw. auf das Tätigkeitsgebiet spezialisierten Dienstleister suchen wird, mag es beim vierten Punkt eher sinnvoll sein, jemanden mit hoher Produktkenntnis und -affinität zu finden.


3. Welche Tools werden eingesetzt?

Mit welchen Systemen wird gearbeitet und an welchen Schnittstellen dockt die Übersetzung an? Stellen Sie sich unbedingt diese Fragen, um zielgerichteter vorzugehen. Alles, was an Ihrem Ausgangstext vor der Übersetzung noch nicht finalisiert ist, werden Sie nach der Übersetzung entsprechend oft erledigen müssen, wie Sie Fremdsprachen beauftragt haben.


Beispiel: Sie senden Ihren Newsletter als reinen Text in einer Word-Datei in die Übersetzung und erhalten die fremdsprachigen Texte ebenfalls als Word-File zurück. Nun müssen Sie für jede Sprache die Inhalte in das Tool für E-Mail-Marketing importieren und überall die Verlinkungen vornehmen. Stellen Sie hingegen die Newsletter-Sprachvariante als Export aus Ihrem Newsletter-Tool in einem gängigen Format den Übersetzer:innen bereit, müssen Sie anschliessend «nur» die Sprachvarianten importieren, die meisten Verlinkungen dürften sogar angepasst sein. Dadurch haben Sie nicht nur viel Zeit gewonnen, sondern viele Fehlerquellen eliminiert.


Seien Sie sich also darüber im Klaren, wie die eingesetzten Tools in Ihrem Vorhaben eine Unterstützung sein können und binden Sie diese Möglichkeiten in Ihren Prozess aktiv ein.

 

4. Was kann oder soll intern abgedeckt werden?

Eine kleine Inventur der verfügbaren Mittel und Ressourcen steht an. Inhalte zu übersetzen braucht seine Zeit, diese zu verwalten ist ein weiterer Aufwand. Deshalb sollten Sie die Mittel und Ressourcen, die Sie dafür aufwenden möchten, für Ihre Ziele entsprechend dimensionieren.


Die Verwaltung von mehrsprachigen Inhalten erfordert viel Koordination: Auftraggeber, Autor:innen und Lektorat, Übersetzung und linguistisches Testing, Fachbereiche und Experten, Grafik, ggf. Agenturen, Veröffentlichung, und vielleicht sogar Kundendienst bzw. Pre-Sales.


Die übersetzten Texte müssen lektoriert und – je nach Qualitätsziel, Komplexität, Haftungsrisiko, usw. –inhaltlich überprüft werden: Sind Freigabeprozesse im Ablauf zu berücksichtigen? Wer kann diese Aufgabe für die Fremdsprache übernehmen?


Und in wie vielen Sprachen sind Übersetzungen erforderlich?


Klären Sie diese Fragen im Vorfeld, um nicht während der Aus­führung Ihres Vorhabens unter Druck zu geraten und das Projekt zu gefährden. Der Aufwand für eine Übersetzung wird gerne unterschätzt. Planen Sie also etwas gross­zügig, so werden Sie sich am ehesten dem realen Ressour­cen­bedarf annähern.

 

5. Mit wem soll gearbeitet werden?

Aus den ersten Fragen lässt sich abschätzen, welche Dienstleister:innen Ihren Bedürfnissen am besten entsprechen werden. Denn nicht alle eignen sich für jeden Kunden. Wie so oft, gibt es auch hier jeweils Vor- und Nachteile.


Übersetzungsagenturen sind in der Regel der passende Dienstleister, wenn es darum geht häufig oder regelmässig hohe Volumen zu bearbeiten: Sie haben einen Ansprechpartner, der sich um (fast) alles kümmert. Sind sie gross genug, haben Sie noch den Vorteil, dass entsprechende technische Lösungen und Plattformen den Austausch vereinfachen. Ausserdem unterhalten sie oft Niederlassungen auf anderen Kontinenten, sodass Ihre Übersetzungen zum Teil über Nacht erledigt werden. Nachteil dabei: Sie wissen nicht, wer an Ihren Texten sitzt und es werden häufig verschiedene Übersetzer:innen eingesetzt, was oft zu Lasten der Einheitlichkeit ist und mit schwankender Qualität einhergeht. Der für die Koordination eingesparte Aufwand fliesst meistens in die Qualitätssicherung ein. Mehr dazu finden Sie hier.


Freelancer:innen sind lange nicht so flexibel wie Agenturen, sind nicht immer verfügbar und können bei weitem nicht die gleichen Mengen abarbeiten. Bei einem hohen Aufkommen ist es also notwendig mit mehreren Freelancern pro Sprache zu arbeiten. Langfristig kann sich diese Form dennoch lohnen, da sie mit der Zeit eine tiefe Kompetenz für Ihre Texte und Ihre Abläufe entwickeln werden und etwas wie ein «internes Team light» bilden. Mit Freelancer:innen erhalten Sie in aller Regel Beratung und Qualität. Hier können Sie mehr dazu erfahren.



Eine Übersetzungsboutique vereint beide Formen und ist meistens ein kleiner Zusammenschluss von einigen Personen mit Kontakten zu auserwählten Freelancern. Sie können auf einem Fachgebiet für eine kleine Anzahl an Sprachen spezialisiert sein oder ein breiteres Spektrum abdecken. In beiden Fällen legen Sie den Fokus auf die Qualität.

   

6. Ist eine Systematik vorhanden?

Wird der Sprachgebrauch in einem Unternehmen systematisch gestaltet, wirkt sich das positiv auf die sprachliche Qualität seiner Kommunikation aus.


Ein Language Style Guide oder Sprachleitfaden dient dazu, Vorgaben hinsichtlich Zeichensetzung, Grammatik sowie anderer Schreibkonventionen festzuhalten. Stil und Tonalität können integriert werden oder in Form eines Tone of Voice detailliert beschrieben werden. Der Sprachleitfaden hilft die formale Einheitlichkeit der Kommunikation in den jeweiligen Sprachen sicherzustellen, vor allem wenn verschiedene Personen und Dienstleister involviert sind.


Der Tone of Voice oder die Markenstimme fasst zusammen, wie eine Organisation oder eine Marke über etwas sprechen will. Diese Leitlinien über Stil und Tonalität der Kommunikation ermöglichen eine konsistente Darstellung des Unternehmens, unabhängig vom Kommunikationskanal, Point of Contact oder Inhalt der Mitteilung.


Terminologie ist ebenfalls unerlässlich für einen einheitlichen Auftritt. Firmeninterne Glossare helfen dabei, Begrifflichkeiten organisations-, branchen- und zielgruppenspezifisch durchgängig zu verwenden – und sorgen dafür, dass Kunden und Leser den Überblick behalten.


Alle diese Regel- und Referenzwerke sind lebende Organismen, die sich immer weiterentwickeln, erweitert und gepflegt sein wollen: Noch vor einigen Jahren machten die wenigsten Sprachleitfäden Angaben zur inklusiven Sprache, das Duzen war seltener in Tone of Voice zu finden und bestimmte Begriffe suchte man in Glossaren vergeblich, denn sie waren noch gar kein Thema. Auch von der Vitalität dieser Regelwerke lebt die Qualität einer Übersetzung.

 

7. Kann Referenzmaterial bereitgestellt werden?

Sich an vorhandenen Texten zu orientieren oder bewusst davon abzugrenzen, trägt zur Einheit­lichkeit eines Auftrittes bei. Referenz­material bezieht sich auf alle Formen von Zusatz­infor­mationen, die für den Über­setzungs­prozess relevante Hinweise liefern. Ausserdem kann Referenz­material eine wichtige Stütze sein, wenn die o.g. Regel­werke nicht vorhanden oder nicht mehr aktuell sind.


Geben Sie eine Übersetzung in Auftrag, stellen Sie Ihren Dienst­leistern idealer­weise solche Zusatz­informationen zur Verfügung. Darunter fallen zum Beispiel:

  • Sämtliches Material, worauf sich im zu über­setzenden Text bezogen wird. Hilfreich können auch verwendete Quellen sein.
  • Vorgänger­versionen eines Textes, z. B. bei Produkt­dokumentation (einschliesslich der wesentlichen nicht-textlichen Unterschiede, wenn es welche gibt)
  • Bild-, Ton- Video­material zum Thema (organisations­internes oder -fremdes)
  • frühere Ausgaben oder Kampagnen, z. B. bei Kunden­zeit­schriften oder Werbe­kampagnen
  • Kontext­information wie Geschäftsberichte oder Unternehmens­broschüren

 

8. Sind Briefings notwendig?

Es gibt eine ganz einfache Faustregel und diese lautet: Ja, ein Briefing ist immer notwendig.


Je nach Fall kann es mehr oder weniger detailliert ausfallen, aber ein Minimum an Hintergrundinformation sollte schon an die Personen gegeben werden, die mal in die Schuhe Ihrer Leser:innen steigen sollen, um einen ansprechenden Text zu produzieren.


Welche Information weitergegeben werden müssen, hängt davon ab, ob gerade die Kampagne für die Lancierung des neuen Produkts gestartet wird oder die Teamseite im Intranet um die Kurzvita des neuen Bilanzbuchhalters zu ergänzen ist.


Hier finden Sie hilfreiche Hinweise über die Kunst des Briefings (und des Debriefings).

 

FAZIT

Die Übersetzung ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die nicht nur operativ fundierte Kenntnisse der Ausgangs- und der Zielsprache sowie der jeweiligen Kulturen voraussetzt, sondern prozessual einige grundlegende Entscheidungen im Bereich Ressourcen und Abläufe erfordert.


Eine gute Übersetzung zu erhalten ist keine Selbstverständlichkeit, aber oft möglich. Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, die Qualität eines mehrsprachigen Auftrittes auf ein gutes Niveau zu bringen und zu halten. Und das kommt weder von alleine noch von ungefähr: Es ist das Ergebnis einer langfristigen Ausrichtung und von Systematik.


Eine Kultur der Übersetzung geht zum Beispiel damit einher, dass

  • Abläufe definiert und gelebt werden
  • Ressourcen wie Glossare, Sprachleitfäden, Tone of Voice erstellt, genutzt und gepflegt werden
  • Dienstleister ausgewählt und die Zusammenarbeit langfristig aufgebaut wird
  • Übersetzung als echter Mehrwert verstanden wird


Erst mit diesen «Zutaten» ist ein mehrsprachiger Auftritt ein Erfolgsrezept. Das Kind aus dem Witz würde sagen: «nicht bloss Püree, sondern feine Pommes».


Wollen Sie Ihre Prozesse auf den Prüfstand stellen?

Über die Autorin

Bonjour! Ich bin’s, Christine Eulriet, begeisterte Französischübersetzerin. Mein Blog ist das Ticket für hinter die Kulissen meines Berufs: Wir schauen zusammen, worauf es ankommt, wenn Übersetzungen von mittelmässig zu wow werden sollen. Schlechte Übersetzungen? Nichts womit man leben muss: Hier erfahren Sie, wie Sie Ihren mehrsprachigen Auftritt beherrschen.


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